Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm...
...umso trauriger, dass ihn immer weniger Schulkinder in ihrer Bemm'biggse ham. In unserer Stammkneipe ist seit paar Tagen schon alles herbstlich dekoriert: Die Tischdecken sind in warmen Gelb- und Brauntönen gehalten, die Gardinen tanzen durch die laufenden Heizungen um die Wette und auf den Fensterbrettern sieht man Herden von bläkenden Kastanienschafen - es wird durch die bunte Jahreszeit auch hier drinnen so langsam richtig urig. Ein kleiner Junge zupft dem Herzblut mit fragendem Blick am Ärmel: "Duhu, lustiger Onkel, wo warstn du beim letzten Mal, ich hatte gar keinen Spass hier!" Nach ner sehr stressigen Woche mit wenig Schlaf umschleicht eine gewisse Milde, innere Ruhe und Zufriedenheit das herzblütige Antlitz. "Ach weißt du mein Kleener, die Mama hatte ein großes Auweh am Kopf und da konnte ich nicht hier sein und mit dir lachen. Jetzt ist aber alles wieder gut..." Der in seiner Neugier zufriedengestellte Knirps sprintet wieder in die Spielecke und rennt dabei fast unsre Wirtin mitm Bestellblock in der Hand um. Beim Blick auf die heutige Speisekarte erkennt das geübte sächsische Auge in den Kindermenüs auch die guten alten "Milchäppel", Holundersuppe und Bärchenkartoffelbrei mit Fischstäbchen, leggor!!!
Tja, liebe Stammtischgäste, was ich dagegen diese Woche bei mir auf der Arbeit an "Kinderernährung" mitbekommen musste - da ziehts mir heute noch die Schuhe aus. Bisher ging ich immer davon aus, dass die Kinder vorm Museumsbesuch Zuhause oder in der Schule ordentlich gefrühstückt haben, das kann ich wohl ohne mit der Wimper zu zucken zu den Akten legen und ins Reich der Fabeln befördern. Neuerdings gibts vor meinem Unterricht mit Zucht und Ordnung meistens vorm Haus ein Stelldichein von Schnittchen und chemisch aufbereiteten Joghurt- und Quarkspeisen, auch mal ne Tüte Chips im Anschlag, dazu noch allerlei Süßkram und Unmengen von noch süßeren und seeehr gesunden Kindergetränken. Fast nirgendwo konnte ich auch dieser Tage Obst bei den Kindern entdecken. Ungelogen und mir sollen die Finger abfaulen, wenn das nicht stimmt: Als am Dienstag ein 13jähriges Büblein mit Basecap und Real-Trikot direkt vorm Herrn Lehrer Herzblut eine gewisse Dose ausm Campingbeu...Tschuldigung, muss ja jetzt Trekking-Bag heißen - also als er aus seinem Rucksack dieses Weißblechteil holte und schon ansetzte, gabs mitm Rohrstock in der Hand von mir ne ordentliche und unmissverständliche Ansage. "Mütze ab in der deutschen Schule und hier ist Red Bull-freie Zone und zwar für immer und ewig! Über die körperliche Züchtigung erzähl ich dann im Unterricht was und ab jetzt ist hier Ruhe!" Hat gesessen und die Lehrerin wurde nebenbei nachdenklich, wie ich das mit der Zucht und Ordnung in nichmal 5 Minuten hinbekommen hab. Als die Rasselbande wieder fort war, lag draußen im Papierkorb ein Sammelsurium von Folie und Süßigkeitenpapier, leere Tetrapacks mit irgendwelchen Erfrischungsgetränken und siehe da - juhu, dort lag wenigstens ein einziger Äbbelgriebs!
Vorige Woche gabs weltweit einen dieser Ehrentage, auf die man gut und gerne verzichten möchte - den Welt-Adipositas-Tag. Laut WHO hat sich die krankhafte Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen in den letzten 40 Jahren mehr als verzehnfacht, mittlerweile gibts über 124 Mio solcher Kinder, weitere 123 Mio Kinder gelten als übergewichtig. Und wie siehts in Deutschland aus? Kannste auch vergessen, derzeit sind bei uns mit 15% etwa 2 Mio Kinder fettleibig, zwischen den 80er Jahren und 2006 ist die Anzahl um etwa die Hälfte gestiegen. Besonders nachdenklich macht, dass mit dem Schuleintritt seit Jahren regelmäßig die Fettleibigkeit sprunghaft ansteigt. Die Gründe sind vielschichtig: Die Erziehung findet nun mal (eigentlich) im Elternhaus statt, dort geht oftmals die Malesse schon los. Und wenn ich von den Kindern manchmal so den Speiseplan der Schulkantinen erfahre, wundert mich in unsrer Geiz is geil-Gesellschaft überhaupt nix mehr. Die WHO sieht richtigerweise zu nem großen Teil auch die Lebensmittelindustrie als Mitverantwortliche. So entsprechen nach einer Studie sagenhafte 90% aller Lebensmittel, die in Deutschland gezielt an Kinder vermarktet werden, nicht deren Anforderungen. Ich geh noch weiter: Die diesen Unternehmen mit ihrer Lobbyarbeit in den Arsch kriechenden politischen Würdenträger sind dafür nicht minder verantwortlich. Nicht unerwähnt soll dabei bleiben, dass nach den aktuellen Erhebungen traurigerweise weltweit 192 Mio Fünf- bis Neunzehnjährige im Gegenzug untergewichtig sind.
Und die Erwachsenen auf der Arbeit? Wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter in Zukunft bei der Stange halten will, muss es sich das eine oder andere dafür einfallen lassen. Und wenns mit kostenlosen Beigaben zum Frühstück ist. Wir befinden uns in einer kleinen Softwarefirma mit 80 Mitarbeitern. Das Unternehmen stellte seinen Mitarbeitern, Kunden und Gästen jeden Morgen kostenlos 150 Brötchen (Laugen-, Käse-, Schoko- und Roggenbrötchen) hin - Marmelade, Wurst oder anderen Belag mussten sie sich selbst versorgen. Dazu stand ein Kaffee- und Kakaoautomat in der Ecke, ebenfalls kostenlos zu benutzen, ne feine und zukunftsorientierte Sache wie ich finde. Ja ich, aber nicht das Finanzamt, die witterten nun das große Fressen und forderten die Firma zur Kasse. Begründung: Es handele sich im konkreten Fall um eine "unentgeltliche Zurverfügungstellung einer Mahlzeit in Form eines Frühstücks". Dies sei ein eindeutiger Sachbezug und als solcher zu versteuern, macht nach deren Milchmädchenrechnung 1,50 bis 1,57 Euro pro Mitarbeiter und Arbeitstag. Da kam der völlig verdutzten Firma der Frühstückskaffee hoch, man klagte gegen dieses Ansinnen - und bekam Recht.
Am Finanzgericht Münster frühstückten die Richter erstmal ordentlich, hier ein Brötchen, dort ein Müsli, einer köpfte mit Inbrunst sein 3-Minuten-Ei, hach hat das wieder gemundet! Danach gings ab in den Gerichtssaal und dort wurde mit vollem Magen und klarem Kopf die bekloppte Entscheidung des Finanzamtes verworfen. Ein Frühstück wäre tatsächlich lohnsteuerpflichtig. Ein trockenes Brötchen und ein Kaffee ergäbe aber nach allgemeiner Ansicht noch längst kein Frühstück (im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG i. V. m. § 2 Abs. 1 Sozialversicherungsverordnung, soviel bürokratische Zeit muss sein). Vielmehr gehören dazu auch noch ein Aufstrich, eine Marmelade oder etwas Aufschnitt. Drum wäre dies im vorliegenden Fall nur eine sonstige „Kost“, die unterhalb einer Freigrenze von monatlich 44 Euro steuerfrei sei. Da sind anschließend sicher bei der Softwarefirma ungezählte Brötchenkrümel vor Freude in die Tastaturen reingekrümelt.
Das Finanzgericht hat anschließend „wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache“ die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen, welche dort auch bereits durch das ums monetäre Frühstück geprellte Finanzamt anhängig ist. Und ich mein', ich stell mir das schon so vor: Da sitzen frühmorgens die Richter am Bundesfinanzhof so wie unsereins mit dampfendem Kaffee und dem einen oder anderen Bäckereierzeugnis aufm Teller und im Radio läuft grade dies: Gebrüder Blattschuß ... alles schunkelt dazu und hat so wenigstens gleich bissl Morgengymnastik, etwas Marmelade kleckst auf den Tisch - schmecken lassen! Dann gehts auch dort in den Verhandlungssaal, Aktenordner auf: "Was, ihr Finanzbeamten kennt kein richtiges Frühstück? Na, da wolln'wer mal, also hört genau zu: Noch'n Toast, noch'n Ei..."
In diesem Sinne, redet mal mit eurem Chef über'n kostenloses Brötchen oder nen gratis Kaffee. Wenn er euch nen Vogel zeigt und stattdessen nen Schokoriegel und ne Flügel verleihende Dose aufn Schreibtisch knallt, dann hat er die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt.
Mahlzeit und schönen Sonntag, euer Herzblut.