VfL im DFB Pokal und NFV-Pokal

  • Naja über die Liga kann man sich noch immer für den Pokal qualifizieren. Man darf sich nur nicht mehr von Großaspach abpassen lassen.

    "Wo finde ich... die Kirche?"

    "Sag mal, ist das ein Gesicht oder ein Hintern da vorne an deinem Kopf?"

    "Na toll, woher weißt du das? Es stand auf einer alten Steintafel." ;D

  • Sven-Oliver Petersen


    (aus der Anthologie "Mein Vau-Eff-Ell!", herausgegeben von Kalla Wefel)



    Und wo geht’s hier nach Osnabrück?



    Hätte man mich vor dem 23.09.2009 auf Osnabrück angesprochen, wäre meine
    Antwort ziemlich abgedroschen ausgefallen. „Kenne ich nur vom
    Vorbeifahren“ oder „Klar, da geht es doch nach Holland, oder?“.
    Immer, wenn wir in den ‚Pott‘ fahren – sei es nach Dortmund oder
    Gelsenkirchen oder auch mal weiter bis nach Gladbach oder Köln –, nimmt
    man beiläufig das Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück zur Kenntnis und vor
    allem, dass es dort in Richtung Westen nach Amsterdam geht. Irgendwie
    war Osnabrück für uns von daher stets eine Abfahrt nach Holland.
    Fast alle anderen Strecken in Richtung Süden fährt man von Hamburg aus
    über die A7. Wie man nach Bremen kommt, wollen wir eigentlich gar nicht
    so genau wissen.
    Wir, das sind die zwei Js – Jan und Jörn –, Fiete und ich. Jan, Jörn und
    ich kennen uns schon seit der Schulzeit, Fiete stieß als Kumpel von Jan
    später dazu. Bis auf ihn, der zwei Jahre älter ist als wir, sind wir
    alle Jahrgang 69 und fahren etwa fünf- bis zehnmal im Jahr zu den
    Auswärtsspielen unseres HSV. Mit fortschreitendem Alter und wachsender
    familiärer Verantwortung bevorzugen wir allerdings immer häufiger die
    kürzeren Fahrten in den norddeutschen Raum.
    Natürlich fachsimpeln wir auf diesen Fahrten und übertrumpfen uns
    gegenseitig mit unserem Fußballwissen. Dass der Fahrer auf solchen
    Fahrten zumindest seit einigen Jahren meistens am wenigstens weiß, liegt
    einfach an den bei solchen Gesprächen, die eher einem Fußballquiz
    gleichen, dann heiß laufenden Smartphones.
    Als Jan eines Tages auf einer Fahrt behauptete, Udo Lattek habe einst
    beim VfL Osnabrück gespielt, war das Gelächter zunächst groß, bis uns
    Google eines Besseren belehrte. Ich wusste zwar von meinem Vater, dass
    Osnabrück irgendwann einmal lange vor meiner Zeit eine große Nummer
    gewesen sein musste, aber irgendwie tangierte mich das als Kind
    überhaupt nicht, zumal der VfL in der Liga, die mich interessierte,
    einfach nicht stattfand.
    Letztendlich war es der 23. April 1980, als ich mich unsterblich in
    meinen HSV verliebte – sozusagen mein erstes Blinddate, und schuld war
    mein Vater.
    Neben anderen Dingen hatte er mir ein paar Wochen zuvor zum 12.
    Geburtstag einen Gutschein für eine Eintrittskarte zu einem HSV-Spiel
    nach freier Wahl geschenkt.
    „Glaub mir, Olli, Sportschau ist nichts gegen die Atmosphäre im
    Volkspark“, hatte er schon einige Tage zuvor zu jeder auch noch so
    unpassenden Gelegenheit verkündet, um mich schon einmal innerlich auf
    das Geschenk vorzubereiten.
    Da kurz darauf Real Madrid nach Hamburg kam, fiel mir die Wahl nicht
    schwer. Mein Vater verdrehte zwar ob der auf ihn zukommenden Kosten
    deutlich vernehmbar die Augen, freute sich aber insgeheim, seinem Sohn
    den HSV endlich etwas näherbringen zu können.
    Ich wusste, dass das Hinspiel zwei Wochen zuvor in Madrid 0:2 verloren
    worden war und sich der HSV gegen diese spanische Übermannschaft mit
    Cunningham und Stielike und anderen Weltklassespielern, deren Namen
    Camacho, Benito, Pirri, del Bosque oder Juanito wie exotische
    Getränkesorten klangen, nur wenig Chancen ausrechnen konnte.
    Manni Kaltz, Kevin Keegan und Horst Hrubesch wurden an diesem Tag zu den
    großen Helden meiner Kindheit. 5:1 besiegte der HSV Real in einem
    einmaligen Match, das bis heute als das beste HSV-Spiel aller Zeiten in
    die Vereinsgeschichte eingegangen ist.
    Noch Stunden nach dem Spiel war das Stadion voll und Publikum und Mannschaft feierten ausgelassen diesen einmaligen Sieg.
    Für mich gab es seither kein Zurück mehr, was den HSV anging, auch ein
    durchaus gut gemeinter und von langer Hand vorbereiteter feindlicher
    Übernahmeversuch von zwei befreundeten Sankt-Pauli-Fans scheiterte
    einige Jahre später kläglich.
    Und was schenkt man sich nun im fußballaffinen HSV-Freundeskreis zum
    Geburtstag, wenn man selbst im Erwachsenenalter ist? Richtig:
    Irgendetwas, das mit dem runden Leder und dem HSV zu tun hat. Durch
    unsere Dauerkarten beschränken sich diese Geschenke zumeist auf
    irgendeine Auswärtsfahrt, eventuell noch mit Essengehen und bei runden
    Geburtstagen sogar mit Hotelübernachtung. Normalerweise nehmen wir
    Stehplätze, wenn nun aber jemand Geburtstag hat, dann ist Sitzen
    wortwörtlich für den Arsch, und zwar für alle und nicht nur für den
    Arsch, der Geburtstag hat.
    Die vier Sitzplatzkarten für das Pokalspiel am 23. September 2009 hatten
    wir schon Wochen vorher besorgt und eine davon dann Fiete am 9.
    September zu seinem 42. Geburtstag geschenkt. Er wirkte durchaus etwas
    pikiert. „Auf ‘nem Mittwoch? Und dann noch in Holland? Beginn halb neun …
    schaffen wir das überhaupt? Na gut, wenigstens erleben wir einen
    schönen Auswärtssieg.“
    Am Tag des Spiels trafen wir sogar ziemlich pünktlich in der Nähe des
    VfL-Stadions ein, brauchten aber ewig lange, um einen Parkplatz zu
    finden. Nach langem Herumgekurve mit unserem Golf, wobei wir ständig die
    Nähe zu den Flutlichtmasten suchten, fanden wir tatsächlich einen
    freien Parkplatz ganz in der Nähe des Stadions.
    Schließlich saßen wir fast eine halbe Stunde vor Anpfiff auf unseren
    lilafarbenen Sitzen. Viel gesehen von Osnabrück hatten wir bis dahin
    nicht, genaugenommen bis auf ein paar Häuser eigentlich gar nichts.
    Na, und nun natürlich dieses Stadion, in dem wir auf dem Weg zu unseren
    Plätzen einige alte Bekannte, Dauerauswärtsfahrer und Groundhopper aus
    Hamburg begrüßen konnten.
    „Ist hier so ‘n bisschen wie damals am Rothenbaum, Jungs, nur etwas
    weniger Holz!“, rief uns ein älterer HSV-Fan lachend hinterher.
    „Wirklich wie früher am Rothenbaum. Man sitzt hier ja direkt am Spielfeld. Nicht schlecht“, stellte ich fest.
    „Irgendwann sind die mal vor ein paar Jahren gegen unsere Zweite mit
    10.000 Leuten im Volkspark aufgeschlagen. Stand jedenfalls so gestern in
    der MoPo“, warf Jörn ein.
    „Du spinnst doch.“
    „Nein, im Ernst. Die Fankultur muss hier ziemlich heftig sein, aber
    außer ‘ner Abfahrt nach Amsterdam ham die hier ja auch nichts anderes.“
    „10.000 gegen unsere Amas? Ham die überhaupt so viele Einwohner?“
    „Wenn man Amsterdam dazurechnet, bestimmt.“
    Unsere Lästereien wurden von einem doch ziemlich beeindruckenden Gesang
    der VfL-Fans unterbrochen, da offenbar alle Einheimischen den Text
    kannten, die sich zu diesem Anlass sogar von ihren Sitzplätzen wie bei
    einer Nationalhymne erhoben hatten. Die Störversuche aus unserer
    Fan-Ecke verpufften rasch, denn gegen die Lautstärke kam man kaum an.
    Unser merkwürdiger Sitzgästeblock war von den Osnabrücker Sitzplätzen
    nicht getrennt. Nur zwei Meter links neben mir stand ein Mann mit zwei
    Kindern vor den Sitzschalen, beide um die zehn bis zwölf Jahre alt, die
    aufgeregt versuchten, die VfL-Hymne mitzusingen. Der Refrain ging immer
    „Nur für diesen Verein wollen wir kämpfen und schreien“, das hatten die
    beiden Jungs jedenfalls rasch begriffen. Ob sie heute wohl zum ersten
    Mal im Stadion waren wie ich damals gegen Real?
    Unsere Vierergang hatte sich mittlerweile mit Würstchen, Cola und
    Mineralwasser gut eingerichtet – Bier ist bei uns komplett tabu, wenn am
    nächsten Tag ein normaler Arbeitstag ist – und man konnte allen
    anmerken, dass wir nun doch ein wenig beeindruckt von dieser
    Stadionperle mitsamt seiner gefälligen Hymne und dem sehr aktiv
    mitsingenden Publikum waren – auch wenn natürlich nichts über ‚Hamburg,
    meine Perle‘ geht, wie ich an dieser Stelle anmerken möchte.
    Dennoch strahlte das alles schon eine prickelnde Atmosphäre aus, bevor
    der Ball überhaupt gerollt war. Auch unsere Kurve, neben der wir im
    rechten Winkel auf einem nach oben hin verkürzten und unüberdachten
    Stück der Haupttribüne saßen, war rappelvoll und man gab sich redlich
    Mühe. Schon die allgemeine Stimmung machte einem irgendwie klar, dass
    das kein Spaziergang werden würde.
    „Möglichst schnell ein Tor, sonst kann das hier schnell ganz, ganz eng
    werden. Glaubt mir, die sind in Wirklichkeit zweitklassig, auch wenn die
    in der dritten Liga spielen.“ Jan wollte uns wohl schon vorzeitig auf
    den Ernstfall vorbereiten oder uns einfach nur den Tag vermiesen.
    „Der Reichenberger hat doch mal bei Frankfurt gespielt, oder?“
    „Und der Baumann bei Köln. Der ist aber Trainer.“
    Von den Stadionsprechern, die sich im Strafraum vor der Osnabrücker
    Fankurve aufhielten, bekam man nicht viel mit, aber die beiden
    Anzeigetafeln waren sehr hilfreich.
    „Bis auf den Baumann und diesen Dingensberger da kenne ich von denen auch keinen …“, wandte ich achselzuckend ein.
    Prickelnde Atmosphäre auch, als die Mannschaften den Rasen betraten.
    Flutlicht, feuchte, fast neblige Luft wie zu Hause im Volkspark, nur
    alles sehr viel kleiner und enger und in der Fankurve der Osnabrücker
    eine aufwändige Choreographie, die sich über die ganze Kurve hinweg
    erstreckte und auf der irgendetwas stand, dass der Pokal seine eigenen
    Gesetze habe. Darüber tauchten ein riesiges Vereinswappen und ein
    überdimensionierter DFB-Pokal auf. Fleißig, fleißig, die Kiddies von der
    Hüpfburg, und hübsch ausgesehen hat es auch.
    Klar, man wollte dem eigenen Publikum und sicherlich auch dem großen HSV
    mit dieser Bastelarbeit zeigen, dass man hier auch nicht hinterm Mond
    oder gar in Holland wohnt und man auch in der Provinz eine eigene
    Fankultur hat.
    Anpfiff!
    Der HSV begann druckvoll, ließ sich aber irgendwann vom VfL ein wenig
    den Schneid abkaufen, und so ging es mit einem letztendlich verdienten
    0:0 in die Halbzeitpause.
    Ich war mit dem Getränkeholen dran. Auf dem Rückweg kamen mir die beiden
    Jungs von nebenan entgegen. Am liebsten hätte ich sie gefragt, ob
    zumindest einer der beiden die Karte zum Geburtstag geschenkt bekommen
    habe, traute mich aber nicht. Im Vorbeigehen hörte ich nur so etwas
    Ähnliches wie „Mann, ist das spannend …“.
    Nun ja, dem konnte ich nur begrenzt beipflichten, denn aus meiner Sicht
    war das Spiel im Gegensatz zum Drumherum und den neuen Eindrücken eher
    langweilig.
    Dennoch ließen sich während der Pause erste leichte Sorgenfalten und
    auch einige skeptische Blicke bei den anderen HSV-Fans erkennen. So ganz
    sicher waren wir vier uns auch nicht mehr.
    „Gleich ein schnelles Tor, dann war‘s das …“, meinte unser Geburtstagskind.
    „In spätestens zwanzig Minuten sind die konditionell total platt. So,
    wie die sich hier reinhängen, halten die das nicht mehr lange durch …“,
    ergänzte Jörn und erntete dafür von uns zustimmendes Kopfnicken.
    Piotr Trochowski war für Zé Roberto reingekommen, der bis dahin
    eigentlich wie die ganze Mannschaft zwar kein überragendes, aber alles
    in allem ein ganz ordentliches Spiel abgeliefert hatte.
    Bevor wir überhaupt richtig nachdenken konnten, stand es tatsächlich wie von allen erwartet 1:0.
    Moment!
    Regiefehler!
    Nicht für uns, sondern für den VfL!
    Das Stadion war im Nu ein Tollhaus. Außer uns HSVern saß nun niemand
    mehr. Alle standen und brüllten etwas davon, dass sie erstens
    Osnabrücker und zweitens immer da seien! Die beiden Jungs neben mir
    stimmten auch voller Inbrunst in die Gesänge ein „Olé, olé, olé!
    Osnabrück, olé! Wir sind die Osnabrücker, wir sind immer da!“ Was für
    eine blöder Text.
    „Können die nicht mal aufhören!?“, rief der sonst so entspannte Jan
    empört. „Dass wir nicht in Holland sind, haben wir ja wohl längst
    kapiert!“
    Wenige Minuten später steigerte sich das Tollhaus zum Tollerhaus, denn es stand wie aus dem Nichts 2:0 für den VfL.
    Bei uns schlug die Stimmung in Sarkasmus um. Unterhalten konnten wir uns
    kaum noch, dazu war es in diesem engen Stadion, das englischer zu sein
    schien, als es jemals ein englisches Stadion hätte sein können, einfach
    zu laut.
    Kopfschüttelnde Resignation machte sich breit … im Gegensatz zu den
    beiden Jungs, von denen der eine sogar hin und wieder kurz den
    Mittelfinger in Richtung von uns HSV-Fans ausstreckte.
    13 Minuten vor Schluss fiel dann das 2:1 durch Mladen Petric. Hoffnung
    keimte auf, schließlich spielte hier der große HSV – der Dinosaurier der
    ersten Liga gab sich die Ehre! – gegen den kleinen VfL aus Osnabrück,
    dieser vermeintlichen Abfahrt nach Holland.
    Nun brüllten wir gemeinsam mit unserer Kurve den HSV nach vorn. Doch die
    Osnabrücker wehrten sich mit Mann und Maus und jede Balleroberung wurde
    vom heimischen Publikum wie ein Tor bejubelt. Gegen diese Osnabrücker
    gab es offenbar kein Mittel.
    Zum Schluss dann noch ein taktischer Wechsel beim VfL. Für einen Stürmer
    kam ein blonder Bubi namens Dennis Schmidt ins Spiel. Der stand
    irgendwann genau auf meiner Höhe im Strafraum der Osnabrücker und hob
    völlig unbedrängt und aus einem unerfindlichen Grund in der 92. Minute
    die Hand in Richtung Ball.
    Elfmeter!
    Natürlich für den HSV!
    2:2 durch ‚Trocho‘!
    Während wir und die Kurve außer Rand und Band waren, schien der Rest des
    Stadions in eine Art Schockstarre zu verfallen. Einer der Jungs neben
    mir weinte sogar und wurde von dem Mann, der offenbar sein Vater war,
    getröstet.
    Der zweite Junge schrie einsam und unverdrossen: „VfL! VfL!“ Als er mich
    kurz anblickte, zuckte ich bedauernd mit den Achseln, woraufhin er mir
    wütend die Zunge ausstreckte. Für das, was nun unweigerlich auf den VfL
    zukommen sollte, hätte ich mich bei ihm, gewissermaßen im vorauseilenden
    Gehorsam, am liebsten entschuldigen wollen.
    „Profis sind das bestimmt auch“, stellte Fiete klar, „aber die brechen
    jetzt komplett zusammen. Wetten? Das war einfach zu viel! Die gehen doch
    schon auf dem Zahnfleisch. Können einem fast leidtun.“
    Nur zehn Minuten später war es dann soweit: Guy Demel prescht in den
    Strafraum der Osnabrücker und tunnelt den Osnabrücker Torwart.
    3:2!
    Jörn guckte auf die Uhr und deutete an, dass wir uns spätestens nach dem
    4:2 auf den Weg machen sollten. Zu den beiden Jungs hinüberzuschauen
    traute ich mich längst nicht mehr. Ich war selbst mal so alt und konnte
    zumindest ahnen, wie es ihnen gerade erging, denn auch das Leben als
    HSV-Fan kann durchaus hart sein.
    Doch was ist das?
    Das gehört so nicht zu unserem Plan!
    Das war so nicht abgesprochen!
    Nach einer etwas verunglückten Kopfballabwehr von Aogo kommt da
    plötzlich irgendein Osnabrücker angerannt, holt mit dem Schussbein weit
    aus und schießt den Ball, offenbar ohne nachzudenken, mit vollem Risiko
    in Richtung Tor. Glaubt mir, wäre da kein Tornetz gewesen, der Ball
    würde heute noch im großen Abstand um die Erde fliegen.
    Sollte jemals der gewaltige Torurschrei zum 4:1 gegen Real Madrid vor
    61.000 Hamburger Zuschauern auf dem Prüfstand gestanden haben, dann
    jetzt beim 3:3 in Osnabrück vor nur 16.000 Zuschauern. Da regen sich die
    Leute über den Fluglärm in Fuhlsbüttel auf, dann kommt mal nach
    Osnabrück ins Stadion … Ich kann euch sagen, jeder Start einer Boeing
    707 ist dagegen ein das Gehör schmeichelnder Klanggenuss.
    Wir HSVer sackten für einige Schrecksekunden alle in uns zusammen, die
    beiden VfL-Bengels nebenan schrien mit den Osnabrücker Fans: „Berlin!
    Berlin! Wir fahren nach Berlin!“ oder einfach nur „Vau! Eff! Ell!“ oder
    mal wieder, dass sie ja nun Osnabrücker und immer da seien, wo auch
    immer das sein mochte. Dass sich die Osnabrücker ständig selbst ihrer
    Herkunft versichern mussten, nervte allmählich.
    Vielleicht skandierten sie auch noch irgendwelche anderen
    Anfeuerungsrufe, so genau weiß ich das alles nicht mehr. Ich weiß nur,
    dass der Begriff Tollhaus oder gar Tollerhaus wieder einmal nicht mehr
    reichte. Nun war das Stadion das Amtollstenhaus.
    Kurz darauf war auch schon Schluss.
    Also Elfmeterschießen.
    Es war mittlerweile nach elf, aber die beiden Jungs nebenan waren wie das ganze Stadion munter wie zu Anfang des Spiels.
    Irgendwann machte sich bei uns eine höchst befremdliche Stimmung breit.
    Sollten diese Osnabrücker uns wirklich gleich im Elfmeterschießen
    besiegen können?
    Wie heißt deren Torwart noch mal?
    Tino Berbig?
    Nie von gehört. Unser erfahrener Oldie Frank Rost wird bestimmt den ein oder anderen halten. Und dann war‘s das.
    Als erster Spieler trat für den VfL dieser blonde Bubi an, der schon den Elfmeter zum 2:2 verschuldet hatte.
    „Na, der hat ja vielleicht Nerven! Ist der bekloppt? Wenn er den
    verschießt, kommt er doch nicht mehr lebend aus dem Stadion“, stellte
    ich kopfschüttelnd fest. Meine Freunde nickten stumm. Auch auf der
    Osnabrücker Seite überwogen ganz klar die skeptischen Blicke.
    Der blonde Bubi lief mit seinen staksigen Beinen an und …
    … verwandelte eiskalt.
    Tesche schoss daneben.
    Das ganze Elfmeterschießen entwickelte sich für uns zu einer einzigen
    Katastrophe. Die Osnabrücker verwandelten ihre Elfmeter einen nach dem
    anderen allesamt souverän, bis auch noch Mladen Petric an den rechten
    Außenpfosten schoss.
    Muss ich noch erwähnen, dass nun aus dem Amtollstenhaus das Amallertollstenhaus wurde?
    Muss ich das wirklich?
    Wollt ihr mich quälen?
    Ja, das Stadion stand nicht nur Kopf, es stand Kopfstand, die Zuschauer
    feierten ihre Mannschaft und auch sich selbst frenetisch.
    Bevor wir uns völlig bedröppelt auf den Weg zum Auto machten, brüllte
    ich noch zu den beiden Jungs mit wenig Überzeugung hinüber: „Herzlichen
    Glückwunsch! Ihr habt das echt verdient!“
    Als der eine Junge mir schon wieder die Zunge ausstreckte, dieses Mal
    allerdings triumphierend, konnte ich es mir nicht verkneifen, auf meine
    Armbanduhr zu tippen und ihm hinterherzurufen: „Und viel Spaß noch
    morgen in der Schule, mien Dschung!“
    Daraufhin legte er sogar noch einen drauf, zeigte mir nun beide Stinkefinger und rief: „Viel Spaß morgen auf der Arbeit!“
    Nun, die Osnabrücker wissen offenbar schon von frühster Kindheit an, wie
    man sich gegen die Großen wehrt – na ja, und sie wissen eben auch, dass
    sie nicht aus Holland, sondern aus Osnabrück kommen und immer da sind.
    Während wir uns mit einem säuerlichen Lächeln auf den Lippen aus dem
    Stadion davonschlichen, tobte drinnen das Publikum vor Begeisterung.
    Selbst als wir schon im Auto saßen, drangen die Jubelgesänge noch bis zu
    uns herüber.
    Nun fühlten wir uns so, wie sich damals die Fans von Real Madrid beim Antritt der Rückfahrt in Hamburg gefühlt haben mussten.
    Der Kleine besiegt den Großen. Doof nur, wenn man sich zu den Großen
    zählt. Aber mal ehrlich: Ist es nicht genau das, was den Fußball am Ende
    ausmacht?
    Und den beiden Jungs erging es bestimmt so wie mir damals im
    Volksparkstadion gegen Real Madrid. Zunge ausstrecken: Ätsch, wir haben
    es dem HSV mal so richtig gezeigt! Und zur Unterstreichung dann den
    Stinkefinger zeigen. „Verpisst euch aus unserer Stadt!“
    Dass der VfL einige Wochen später die Borussia aus Dortmund auch noch
    aus dem Pokal raus warf, löste bei uns immerhin eine späte Genugtuung ob
    der eigenen Niederlage aus.
    Wir vier hatten das Spiel übrigens genussvoll und überhaupt nicht
    neutral als VfL-Fans-für-einen-Tag bei mir zu Hause auf dem
    Großbildschirm gesehen, und wir glaubten sogar, die beiden Jungs hin und
    wieder erkennen zu können, da die Fernsehkameras die große Sitztribüne
    ständig im Visier hatten.
    Und jedes Mal, wenn wir heute an Osnabrück vorbeifahren, um unseren HSV
    in Dortmund oder Gelsenkirchen zu unterstützen, ziehen wir nun fast
    hochachtungsvoll unsere HSV-Mützen vor dem VfL, seinen Fans und seinem
    Stadion.
    Und die Idee, dass Osnabrück lediglich eine Abfahrt nach Amsterdam ist, findet auch niemand mehr so richtig witzig.
    Na ja, ganz ehrlich?
    Manchmal schon ...


    Sven Oliver Petersen
    * 19.03.1969 in Hamburg
    Großhandelskaufmann

  • Wirklich schöner Bericht. Vor allem wenn die eigene Hochnäsigkeit so gekonnt auf die Schippe genommen wird. :D

    Arminia Bielefeld - Stadion Alm
    Tradition & Identität erhalten!

  • Heute ist es so weit1 Das große Pokalspiel unter Flutlicht!


    Der VfL ist in der ersten Runde des Niedersachsenpokals zu Gast bei Schwarz-Weiss Rehden! Der Viertligist wirbt für das Spiel übrigens mit dem Ex-Osnabrücker Addy Menga und dem Spruch "Lila-Weiß macht heiß!". |-)

  • Erledigt.


    Am Sonntag kommt dieser "HSV" aus einem Kaff namens Hamburg. Das muss irgendwo zwischen Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegen.


    Nach dem verkorksten Saisonstart wäre es natürlich toll wenn uns der Pokal mal wieder den Arsch rettet. Allerdings wäre alles andere als eine saftige Niederlage natürlich sensationell.


    Moment, da war mal was...

  • Der VfL ist heute im NfV Pokal eine Runde weiter gekommen gegen die SVG Göttingen, locker flockig mit 5:0 !
    Hab auswärts auch schonmal mehr Fans der Osnasen gesehen, sah eher aus wie Rudis Resterampe! Support gabs keinen, aber bin ich ja mittlerweile gewöhnt!

    Zitat von BTSV Matze

    Meine Fresse sind wir am Arsch.

  • Support muss man sich nicht verdienen, aber in den letzten Wochen ist von Verein und Mannschaft alles dafür getan worden dass selbst den hartnäckigsten die Unterstützung zu blöde geworden ist.

  • Eigentlich wollte ich ja heute spontan frei nehmen und nach Osnabrück fahren... Lust drauf, schönes Stadion, Bierchen trinken. Da ich seit gestern aber nur noch am schniefen, rotzen und husten bin, bin ich froh dass sich kein Dummer gefunden hat der mitfährt! Werde ich mir unser Weiterkommen also doch am heimischen TV anschauen (müssen).

    "Denn anders als Arbeitsstelle, Lebenspartner oder Automarke ist der Lieblingsklub nicht austauschbar.

    Mit ihm ist der Mensch ein Leben lang verbandelt wie mit der eigenen Haut.

    Sie mag Falten kriegen, doch ablegen kann sie niemand. Selbst wenn man das manchmal gern möchte."

    (Lars Wallrodt)

  • Gute Besserung. Aber so wie man den VfL kennt schmeißt der Euch und vielleicht noch einen Bundesligisten glorreich aus dem Pokal, um selbst nächstes Jahr in der Regionalliga zu kicken. |-)

    Arminia Bielefeld - Stadion Alm
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  • Also muss wegen mir nicht sein... :floet:

    "Denn anders als Arbeitsstelle, Lebenspartner oder Automarke ist der Lieblingsklub nicht austauschbar.

    Mit ihm ist der Mensch ein Leben lang verbandelt wie mit der eigenen Haut.

    Sie mag Falten kriegen, doch ablegen kann sie niemand. Selbst wenn man das manchmal gern möchte."

    (Lars Wallrodt)

  • Wenigstens nimmst Du es mit Humor. Wobei der VfL in der Regionalliga eigentlich nichts verloren hat. Hauptsache Ihr endet nicht wie Oldenburg.

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